Sammelstelle von allerley Zierrat

Abschlüssiges und Kleinkram:

Lumpenstelldichein. Der junge Morgen bzw. ein alter Daimler spuckt die beiden um 10 Uhr in dem kleinen Örtchen Nebra aus. In vier Stunden erst kommen sie hier mit ihrer Mitfahrgelegenheit weiter. Wie also sich die Zeit vertreiben? Klampfen und Hüte haben sie dabei, der Magen knurrt, der Geldsack ist leer... Was also liegt näher, als sich bei einem Bäcker ein Stück Quarkkuchen zu ersingen, beim nächsten Konditor zum Aprikosenkuchen einen Kaffee zu erhalten? Zwei Bier vom Getränkehändler sowie ein Himmelsscheibenplätzchen sind hingegen erst einmal nutzlos und wandern in die Rucksäcke. Nun folgen die beiden der Einladung einer Biederfrau, zunächst für "Oma" am Fenster und dann bei Sohnemanns Geburtstag in der guten Stube zu singen. Das dritte Frühstück wird beschwerlich, aber immerhin erhalten sie 35 Dukaten und eine Flasche guten Unstrut-Wein als Dankeschön - Dinge, die sich zunächst auch außerhalb des Magens verstauen lassen. Da die beiden ins nächste Dorf wollen, müssen sie wohl das Mittagessen vorziehen. Sie erlauben sich, im Schloßhotel zu residieren, erhalten für ein zackiges Halunkenlied zwei Rollwickelbraten mitsamt Bier und müssen der keuschen Bedienung auf die Frage: "Wünschen Sie noch etwas!" leider mitteilen, daß sie restlos zufrieden sind. Sie rollen sich alsodann rülpsend aus der Stadt, halten kurz den Daumen raus und werden per Kleinwagen sofort zu "Marias guter Stube" in Kleinwangen chauffiert, wo sie schon wieder Kaffee und Apfelbrause erwartet. Der Bauch schwabbelt, als sie sich zur Architekturbanane schleppen, jenem Orte, an welchem Urlauberkolonnen sich über die Himmelsscheibe informieren wollen. Sie singen dort eine halbe Stunde, was ihnen nochmals 35 Dukaten und etwas Rauchwerk einbringt. Um 14 Uhr sucht die Fahrgelegenheit sie schon, aber an der Würstchenbude müssen sie noch ein Bier trinken und dafür leuchtenden Mädchenaugen singend von frechen Halunken, russischen Kosaken und italiniescher Liebe erzählen. - Und schon sind vier Stunden vorüber. Vier Stunden, die der Spießer sicherlich sinnvoller hätte verbringen können.


Vermerk in Zella-Mehliser Zeitung

Rinne bauchwärts, Sonnenstrahl,
feuchte meine dürre Kehle.
Kommst du unten an im Tal,
jauchzt gen Himmel meine Seele.
Meine Niere pocht Alarm
und sie lechzt nach deinem Kuß.
Du machst Eisgefilde warm,
heiliger Schnapsissimus.

Die Verkannten. Wir haben wohl etwas Gespensterhaftes an uns, beinah was Mythologisches. Erfüllen wir nicht die ewig alten Sagen von sonderbaren Landgängern, die prüfend die Herzen der Menschen wiegen (wo sie noch welche finden)? Umherwandernd, von allen verkannt, bespien und verachtet...? Na gut, von mach einem auch geliebt und vergöttert (aber doch nie um unseres Handelns willen!). Um so besser, daß wir in die Charakterlücken preschen und uns darinnen einnisten wie des Kuckucks Zöglingsbrut. Da werden wir betätschelt, beklatscht, gefüttert und am Ende stehen die Verkenner nackend da, blinzeln verwirrt in die Schelmerein des in uns auferstandenen Ulenspiegel-Geistes. Und wenn wir grobe Spitzen kloppen, Gespräche mit fröhlichstem Unernst durchflechten, wo eigentlich das heiligste Mark der Not eine Sorge draus machen wollt', da fängt der Gang der Welt das Stocken an und weiß nit weiter. So muß der Alltag seinen Hut nehmen und das gewöhnliche Denken bekommt ein mächtiges Fürchten vor der Phantasie und dem Reichtum so mancher Menschenseele.

Die Wiederauferstandenen. Hut und Joppe, krachlederne Hosen und einen Sack auf dem Rücken. So humpelt eine Handvoll rauhbärtiger Gesellen durch die Gassen des Städtchens. Einer hat zwei verschiedene Schuhe an, der andere ein völlig zerissenes Hemd, der nächste ein großes Messer umgeschnallt. Pistolen haben sie sicher auch. Blaß sehen sie aus, blaß und dennoch frisch. Zerfurcht und früh gealtert, regungslos die Mienen, blitzend aber die Augen. Blitzend vor allem, als sie auf ihrem Wege einige rundliche Kerle passieren müssen, die höhnisch brüllen: "Boah, schau dir mal diese Vögel an!" Einer der Grauen bleibt stehen, mustert die Schreihälse in ihren blauen Nietenhosen, grellfarbenen Plastejacken und buntbedruckten Schirmmützen, nickt und sagt spöttisch: "Papagaien!" Die Bunten verstehen das nicht, plärren schon wieder laut krächzend über Partys, Jobs oder Sonderangebote. Die Grauen treibt der Hunger derweil in einen alten Gasthof, der seinen abgewetzten Glanz alter Tage noch nicht ganz gegen Neonlicht und schnöden Nippes getauscht hat. Dort werden sie ihre Lieder anstimmen, Mädels zum Lachen, Mütter zum Schluchzen und harte Männerherzen zum Schmelzen bringen. Und man wird sie liebevoll verköstigen. Überhaupt: Wo Herzen wie kleine Flammen in entlegensten Winkeln noch der Macht der Äußerlichkeit trotzen, so werden sie entfacht, und wo sie erloschen geglaubt, wieder entzündet. Wie Geister sind die Gesellen, Geister aus einer anderen Zeit; oder Heimkehrer, die ihre Heimat noch suchen; oder Wiederauferstandene aus den Ruinen dessen, was einstmals voll innerer Lebendigkeit war. - Sie gehen wieder hinfort, ziehen weiter. Laßt sie ziehen, laßt sie! Die Stadt ist leer. Zurück bleiben Erinnerungen. Bei Wenigen nur. Aber diese Wenigen wiegen mehr als die Vielzuvielen.


Schnaps, du edler Götterfunke,
Schlingel aus Elysium,
nieder mit dir, du Halunke!
Runter in dein Tusculum!

Fliesenzerleger. Ein Vagabund wollte sich für einige Wochen bei einem Baubetrieb verdingen, gegen Kost und Logis und etwas Kleingeld versteht sich. Das Geld schien recht üppig. Zwei Tage ging die Sache gut. Der Vagabund hatte Fliesen verlegt, und das mit rechtschaffener Arbeitskraft und nach allen Regeln der Kunst. Am zweiten Abend bemängelte der Chef jedoch die Fliesenflächen aufgrund "riesiger Unebenheiten", legte als Beweis eine Handstablampe auf den Boden und erklärte dem verdutzten Vagabunden, daß man ihm nur die Hälfte des versprochenen Geldes geben könne. Der Vagabund bat den Chef, doch bitte eben alle überzahnten Fliesen zu kennzeichnen, und dieser ging voll höhnischen Eifers daran, mehrere Kacheln mit einer Kreide anzukreuzen. Als er damit fertig war, fragte der Vagabund, ob das alle wären, worauf der Krauter ganz gönnerhaft meinte, über einige könne er noch hinwegsehen. Der Vagabund seinerseits griff in Windeseile einen Hammer und schwuppdiwupp, kaum hatte es sich der Chef versehen, war jede einzelne der gezeichneten Fliesen zerschlagen. Der Vagabund erklärte nun, daß er den Abzug gerechtfertigt fände und er die Sache damit als erledigt betrachte. Er erhielt tatsächlich das halbe Geld für zwei Tage Arbeit, war aber ab dem dritten Tag seines Arbeitsverhätnisses wieder ledig.


Lumpenbruder Rülps versucht seinen Hartz-IV-Bescheid zu kapieren.
Man beachte den Lumpenbruderzettel an der Scheibe, darauf steht:
Die Lumpenbrüder kommen
... auch ohne Hartz IV ganz gut durchs Leben!“


Galgenstrick. Hoher Sommernachmittag. Ich sehe mich stehen auf einem Bretterwerk inmitten eines Marktes einer alten kleinen Stadt. Fachwerkhäuser sehen gutmütig mit ihren Fenstern auf mich herab. Es muß Sonntag sein. Rings wogt das Volk. Es sind ehrliche Leute: Krämer, Kaufleute, Handwerker - und mittendrin auch dieser und jener mit einem Schelmenblick. Es ist mir kein Zweifel daran, was hier gleich geschehen wird. Meine Hände sind auf dem Rücken zusammengebunden. Und über mir spüre ich den Schatten eines schweren Balkens, daran etwas im Winde schwingt. Es wird das Schicksal sein: Ein schöner dicker Strick. So einer, wie man ihn braucht, um einen Stier oder eben einen Narren vom Leben zu bringen. Ich blinzle in das gaffende Gedränge. Es fehlt keiner unter ihnen. Dann schaue ich auf: Mein Blick segelt einer Schwalbe nach. Wie schön dieser Sommertag ist. Und wie schön dahinten die dunkle Dirne, die mir ihre ängstlichen Blicke schenkt. "Schon gut, Mädchen", flüstere ich, "es werden noch andere kommen wie ich. Immer werden solche sein." Nun wird es still. Ich möchte singen, so stille ist es mit einmal. Die Leute starren und schweigen. Tiefe Risse malt das Entsetzen in ihre Stirnen. Ob ihre Seelen daran zerbrechen? Was kümmert es mich! Ich werde hier gleich eine große dunkle Erfahrung machen. Plötzlich steht jemand neben mir. Ich wende mich nicht nach ihm. Seine Gestalt atmet mir genug, daß ich's vernehme. Dann fragt er mich, als käme seine Stimme einen langen, nächtigen Weg daher: "Hast du noch etwas zu sagen?" Ich höre die Worte in den ruhigen See meiner Gedanken fallen, als wären es schwere Steine. Dann mache ich mich gerade und pfeife eine Melodie. Leise, ganz leise. Nur für mich. Hinter mir regt es sich. Ich wende mich nicht. Noch einmal reitet mein Blick über die Menschen. Er trifft einen kleinen Jungen, der unter den ersten Reihen steht und staunt. "So", denke ich, "du willst also auch das richtige Sterben lernen?" und weiß, er versteht mich wortlos. Das ist schön. Das ist tapfer. Nun spüre ich Hände an meinem Rücken. Und nun etwas Leichtes um meinen Hals. Doch plötzlich wird's schwer. Unendlich schwer. Und eine rasche Dunkelheit verhüllt mein Gesicht. Ich steige. Und sehe noch immer, was ich sah. Und alles ist mit einmal Weite, uneinholbare Weite - bis ich schweißgebadet in der Vagabundenpenne aufwache.


Tippelbrüder sind wir alle,
denn wir gehn in jedem Falle
einmal auf bestimmte Art
ohne Habe auf die Fahrt.

Vagabundelle. Wie nur, wie - kommt mir beim Lesen der Strolchenstücke eben die Frage - könnte man das literarische Herumtreibertum in eine Gattung mogeln. Ich meine: Es gibt den ROMAN. Es gibt die NOVELLE. Vielleicht ist dann dies eine: VAGABUNDELLE. Warum nicht in die literarischen Formen einbrechen, wie in eine prallgefüllte Würstchenbude? Sich herausnehmen, was gefällt und einen Furz *pardon* - einen Zinken hinterlassen?! Von der EPIK zur BACCHANTIK (Bacchant = Fresser, Säufer, Lustmolch) scheint mirs nur ein kurzer (freilich ungesehener) Sprung zu sein.

Einladung. Das Schreiben an einen Gönner, Herrn Professor Justitiar, aus dem Städtchen München:

    Sehr geehrter gnädiger Herr!

    Sicherlich werden Sie sich unser noch erinnern, so just jene frohsingenden Gesellen, welche im Sommer auf der Insel Sylten im Örtchen List auf dem lichtfunklen Schlosse seiner Hoheit, dem Krabbenkönig Gosch, verweileten, und diesem für ein ausgiebiges Abendmahl sammet wohltemperirtem Biere einige helltönende Lieder darbrachten, wenngleich die Kapelle im oberen Theil des Hauses mit ihrigen Pauken und Trompeten bereits gar mächtig aufspielte.

    Da nun itzo allmählich ein harscher Wind öffter durch unsere Nasenflügel streicht und wir die Morgenkühle beschwerlicher aus den Gliedern zu schütteln verflucht sind, erinnerten wir uns des gnädigen Herren, alsodar wir zurweil im Süddeutschen wandern und darumb für eine erquickliche Mahlzeit, ein gefedertes Nachtlager und einen herrlichen Braten, alsoweil vielleicht noch einigen brauchbaren Wegegeldes, für den Herren und seine Gäste gern aufzuspielen gedenken, auf daß sie fröhlich seien.

    Wenn der gnädige Herr Justitiar belieben, nach Musike zu einer Festivität zu suchen, in uns hätte er sie gefunden!

    Mit hochachtungsvollem Gruß

    Die Lumpenbrüder