Von Ost nach West durchs Erzgebirge 2005

Ein dichter Schleier hat lautlos sich des winterstarren Landes bemächtigt, es in ein verschwiegenes Weiß gehüllt. Frostiger Schnee ächzt bedächtig zu unserem müden Schritt. Langsam stapfen wir vorwärts. Wie raubte uns die eisige Nacht den labenden Schlaf, den wir in der rostigen Laube des Pfaffen erfolglos zu erheischen gedachten! So erbärmlich, wie wir froren, so trotten wir nun durch stillen Wald, hoffend, ein wackerer Wanderer möge doch unseres Weges kreuzen und uns einen Wink geben, wo man sich ein festes Stück Brot oder gar eine heiße Suppe erbetteln könne. Doch still ist es und nur die dumpfe Einsamkeit unser getreuer Begleiter. Im Fieber des Hungers kreisen hoffnungsfrohe Träume:

Fern, ganz fern liegt die Bauernstelle des fleißigen alten Kämpen, dessen schweres Tagwerk den Rücken ihm beugte. Dem wir anbieten, schwere Schneeberge vom Hofe zu räumen. Der aber darob nur lächelt und lieber frohe Weisen aus jungen Kehlen zu hören verlangt. Und so stimmt Hans Spielmann im Liede seine Fiedel, gehen ihrer Dreie auf die Walze. Der Alte nickt gedankenversunken, seine Augen glänzen und blicken verloren in die Ferne, als ob er jedes einzelne unserer Worte tief in sich aufsaugen wollte. Aus seiner Freude und der Freude der eilig herbeigelaufenen Sippe schöpfen wir neuen Lebensgeist. Noch mehr Kraft geben uns fette Schmalzbrote und dampfende Kartoffeln, fürsorglich zubereitet von mütterlichen Händen, sowie ein belebender Trunk, den wir zum Abschluß eines herrlichen Mahles begierig in die durstigen Kehlen gießen. Vergessen alle Ödnis, aller Kummer, aller Schmerz. Später, viel später ziehen wir wieder, lallend wie sorglose Kinder, lärmend in die düstere Kälte, neuer Freude und neuer Unflat entgegen.

Arz'gbirg


Ungeahnter Aufstieg. Als wir des Abends geduckt durchs erzgebirgische Annaberg-Buchholz huschten und uns bei etwa 15 Minusgraden die Nasen an warmen Speiselokalen plattdrückten, ahnten wir nicht, wie schnell ein Lumpenbruder Karriere machen kann. Im "Kartoffelkeller" am Marktplatze fragten wir belanglos, ob es denn für einige schöne Lieder ein warmes Mahl gäbe. Zu dieser Entscheidung wurde eine Schöffin (Chefin) in schwarzem Anzug hinzugezogen, die meinte, wenn wir gut sängen, gäbe es vielleicht eine Kleinigkeit. Nun gut, wir setzten uns dezent in eine Ecke und ernteten nach dem ersten Lied von den Gästen umgehend Beifall und von der Bedienung ein ausreichendes Essen. Das ging ja schneller als geahnt! Doch lange durften wir hier nicht singen, denn die resolute Chefin befahl uns, auch in weiteren Lokalitäten zu singen. Jetzt erst ging uns ein Licht auf, daß wir uns in einem Vier-Sterne-Hotel mit mehreren Freßabfertigungshallen befanden. Wir wurden also von Saal zu Saal geschleust und sangen dort wie die Profis ein Lumpenlied zur Vorstellung und mit den Mampfenden gemeinsam „Wenn alle Brünnlein fließen“. Die Chefin stand im Hintergrund, und bevor die begeisterten Gäste zum Kleingeld greifen konnten, wurden wir schon wieder aus dem jeweiligen Raum gedrängt. Zum Schluß aber durften wir bei Bier und Zigarre in den weichen Ledersesseln der feinen Hotelhalle herumlungern und dabei in Erinnerungen schwelgen, daß wir noch gut eine Stunde vorher die vereisten Fensterscheiben von außen besahen.

Der geschlossene Weinkeller. In Schwarzenberg im Erzgebirge war's, da gab uns die Musikgruppe „Die roten Noten“ den Hinweis, abends in der „Freien Republik Schwarzenberg“ zu singen, dort würde uns alternatives Publikum erwarten. Hinter dem Eingang befanden sich unten ein Weinkeller (Wirt) und oben eine Bierstube (dessen Gemahlin). Zu Fressen freilich gab es im Weinkeller, in welchem wir zunächst sangen und wo uns ein geölter Depp aus Halle andauernd die Notenblätter klauen wollte, freilich nichts - wir wurden auf die Bierstube verwiesen. Das dortige Publikum - inmitten von Israelfähnchen und Postkarten wie „Heimat ist scheiße“ - war allerdings recht undankbar, wir sangen trotzdem und bekamen immerhin Bier ohn' End sowie „Israelische Spaghettis“ (Bandnudeln mit Schafskäse) kredenzt. Als wir wieder in den Weinkeller einsteigen wollten, schrie aus dem Loch unfreundlich eine Bedienung: „Hier ist jetzt geschlossen!“ Gesagt - getan! Wir riegelten die schwere Tür des Weinkellers also von außen zu. Sogleich hörten wir Fäuste hämmern und den gellenden Schrei: „So nicht, ihr Burschen!“ - Als wir in der nahegelegenen Spelunke „Blauer Engel“ unsere Missetat publikumsgerecht zum Besten gaben, klopfte man sich dort vor Lachen gewaltig auf die Schenkel und wir bekamen eine Extra-Portion Obstler.

Stationen: Freiberg, Sayda, Seiffen, Olbernhau, Marienberg, Wolkenstein, Annaberg-Buchholz, Oberwiesenthal, Gottesgab, Schwarzenberg.