Walz durch die Pfalz
Kleine musikalische Anekdoten der Rundfahrt:
Kinderkarussell. Die Kerwe-Abende an der Weinstraße machten uns nicht nur völlig besoffen, wir bekamen auch regelrecht Bauchschmerzen vom vielen Fressen. Leberknödel, Schnitzel, Würstchen, Saumagen - so viele warme Essen am Tag sind schier unbekömmlich, nebenbei noch Kuchen und Eis. Und ein zackiger Lumpenbruder schlingt auch alles gierig in den Wanst! In Diedesfeld durften wir nachts eine Extrafahrt auf dem lichterblinkenden Kinderkarussell machen und grölten lauthals und sturzbesoffen während der Kreiselfahrt das Lied von den "Halunken, Monarchen, Banditen". Das Essen blieb glücklicherweise im Bauch.
Singkundgebung. In St. Martin, Weinstraße, zogen Urlauberscharen in Kolonnen links und rechts die Straße entlang an uns vorbei. Als wir "Wenn alle Brünnlein fließen" anstimmten, fielen vielleicht hundert Menschen in der ganzen Straße mit ein. Eine urplötzliche, fröhliche Massenveranstaltung!
Musikantenstädl. Am Deutschen Weintor in Schweigen sangen wir in einer Schenke bis in die tiefe Nacht und bis sich die Fässer leerten. Die vielleicht vierzig Gäste tobten förmlich, tanzten zu deftigen Liedern, einer gab uns dreimal Geld und beim viertenmal ein Abendbrot. In den Aschenbecher flogen die Geldscheine zuhauf.
Quietschkasten. Irgendwo bei Weißenburg (Elsaß) lud uns ein älteres Ehepaar ins Haus, um uns Kaffee zu kochen und Brote zu schmieren. Der Alte kramte seinen bereits verstaubten Quetschkasten für uns hervor und spielte lächelnd mit verlorenem Blick Seemannslieder, ohne sich vom Winken und Rufen seiner Frau auch nur irgendwie beeindrucken zu lassen.
Lumpentaxi. Zwischen Kandel und Speyer nahm uns ein Angehaltener mit. Das ist besser als Taxifahren: Als wir ausstiegen, bekamen wir noch zehn Talerchen, weil wir so nette Kerle wären und Musik machen.
Ordentlich! Die Heidelberger Stadtbettler schwärmten von den dollen Verdienstmöglichkeiten bei einem Stundensatz von 25 Euronen für Musikmachen in der Fußgängerzone - für uns ungewöhnlich niedrig. Es gab dort aber auch viel "künstlerische Konkurrenz". Doch viele Zuhörer waren sehr angetan. Bei dem Lied von Flexens Wildgänslein rauschte nicht nur ein Zweieurostück in die Blechdose, sondern uns zudem der Satz an die Ohren: "Endlich mal ein ordentliches Lied in der Stadt!"
Dank. In einem Heidelberger Weinloch sangen wir fleißig, die amerikanischen Gäste spendeten lediglich Beifall und der geizige Wirt nur ein Bier. Neben uns hockte ein etwa 40jähriger zotteliger Kerl, sagte die ganze Zeit kein Wort. Als er aufstand und ging, leuchteten groß seine Augen und er sagte tief bewegt: "Ich danke euch, danke euch...!"
Drecknest. In Mosbach am Neckar mag man keine Bettelmusikanten. Lag es am Wetter oder an den sangesfeindlichen Odenwäldern? Nachdem wir aus so ziemlich allen Spelunken am Marktplatz herausflogen, liefen uns etwa 20 urlaubende Pfälzer über den Weg. Sie bedrängten uns, und alle zusammen schmetterten wir auf dem Platze einige fesche Lieder, so daß den Mosbacher Miesmuscheln vor Staunen die Mäuler offenstanden. Mit den noch eingesackten Dutzenden Talern machten wir, daß wir aus dem Drecknest wegkamen.
Rauher Weckruf in der Pfalz:
"Dufte Kunden, los die Walz!",
kommandiert der Boos der Bande.
Schon sieht er die Brüder rammeln
aus dem Pennenloch, sie sammeln
sich am staub'gen Straßenrande.
Hungrig knurrt er: "Lumpenpack,
wer weiß einen Pfeffersack
der uns kann mit feinen Sachen -
Speck und Bier und Schmochelstoff -
ohne Keilerei und Zoff
ein paar Stunden glücklich machen?"
Und der längste in der Runde
nimmt den Schmochfink aus dem Munde:
"Meister, laß dich von uns führen!
Denn in diesen fetten Gauen
braucht man nur die Klampfe hauen,
um zu öffnen alle Türen!"
"Meinethalben", nickt der Boos,
"Klinken putzen - also los,
Abmarsch in das Kaff hinein!"
Eilig tippeln die Halunken
zu den Häusern und Spelunken,
Bürgern, Bauern, Mägdelein.
Und sie dalfen durch die Gassen,
können es bald gar nicht fassen
wie die Beute sich vermehret.
"Ei, was sind das denn für Sachen?"
und die Lumpenbrüder lachen:
"Ist denn hier die Welt verkehret?"
Voll mit schweren Ruckesäcken
dürfen sie die Schnäpse lecken,
die so huldvoll dargeboten;
greifen Mädchen, müssen singen,
lassen sich die Torten bringen
und erschwindeln dreiste Zoten.
Abends in der Penne dann
fängt die Inventur gleich an
und der Jüngste zählt die Kohlen:
"Soviel Kies, ei ist das schick!
Aus der Dalles - welch ein Glück
haftet wohl an unsern Sohlen?"
Doch der Kleinste schwört: "Verpennt
hat die Welt, wer uns nicht kennt,
deshalb liebt man uns so fein!
Denn man will die Sänger halten,
uns - den lumpigen Gestalten -
gerne Hand und Hülfe sein!"
Und so lärmen froh die Kunden
noch zu späten Abendstunden
bis in dunkle Nacht hinein.
Seht sie fackeln, seht sie feiern,
hört sie freche Lieder leiern:
"Weiber, Bier und Branntewein..."!
Als sie morgens aufgewacht
aus der schwer durchzechten Nacht
knurrt alsbald der Boos der Bande:
"Dufte Kunden, los die Walz,
weiter geht es durch die Pfalz,
weiter durch die fetten Lande!
Zwey von Drey
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Nachbetrachtung. Ein halbes Jahr später hat einer der Lumpenbrüder in Karl Schworms "Die bunte Truhe" die Episode gelesen, wie ein alter 1848er schleswig-holsteiner Kriegskamerad, verwegener Soldat, aber später Penner und Vagabund, Weihnachten 1869 von dem Sohn eines Kriegskameraden, mittlerweile Förster bei Bergzabern, über die französische Grenze geschleust wurde. Nach Wald und Steig öffnete sich jäh der Blick über die verschneiten Weinberge, und der Sohn sagte: "Wir sind jetzt hinter der Grenze, da vorn ist das Paulinenschlößchen, dahinter liegt Weißenburg." Der Alte schleppte sich bergab. - Wäre der Penner knapp 137 Jahre später nach Weißenburg getrottelt, dann wäre er sicher über unser zufälliges Nachtlager vor dem Schlößchen gestolpert. "Hey ihr Lumpenbrüder, ihr zählt gerade Talerchen, habt ihr was für mich?" - "Halts Maul, du stinkender Penner, verpiß dich!"
Fazit: Verspotte oder verhäme nie einen hageren Habenichts, er könnte Träger des Schleswig-Holstein-Kreuzes sein!
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