Von Thüringen bis nach Naumburg 2005

Eigentlich wollten wir ins Elsaß, aber bei Stuttgart wurde das Wetter so schlecht, daß wir uns verschiedene Orte vom Bahnreiseplanungsapparat ausdruckten, die wir per Wochenendfahrschein erreichen konnten, und einen kleinen Jungen einen unserer Ausdrucke ziehen ließen. Das Ziel war ... Suhl!

Hartz IV

Die verspätete Warnung. In Ohrdruf begann es des Nachts zu regnen. Wir suchten einen Unterstand, der bereits von dutzenden Skinheads belegt war, deren Bier schneller floß als das Himmelsnaß. Wir halfen ihnen beim Saufen und sie versuchten im Gegenzug, uns eine trockene Bleibe zu besorgen. Brauchten wir dann aber nicht, denn der Pfarrer hatte bequemeres Obdach für uns. Als wir später von Gotha aus in Richtung Erfurt von einem Technojünger mitgenommen wurden und erzählten, daß wir auch in Ohrdruf waren, meinte der: „Dort gibt es ganz finstere Gestalten! Massenhaft Glatzen! Da habt ihr aber Glück gehabt, daß ihr denen nicht begegnet seid!“ Wir dachten uns unseren Teil...

Gescheiterte Lumpenrevolution. In Erfurt trafen wir um die Mitternachtsstunde vor einem Hotel auf zwei feine Pinkel, die sich über Immobiliengeschäfte unterhielten. Wir gesellten uns hinzu und brüllten empört, daß die beschissenen Spekulanten das ganze Land leerramschen. Die Empörung wurde von denen sogleich geteilt und wir als faule Ossis und dumme Ratten beschimpft. Sofort eilten wir zu einem linken Koordinationsbüro, um mit Hilfe der dortigen Genossen eine Spontandemo gegen kapitalistisches Spekulantentum vor dem Hotel anzuzetteln. Doch die GenossInnen schliefen alle schon - der Laden jedenfalls war zu. Auf einem nahegelegenen Platz sangen wir mit einigen Punkern wenigstens noch zusammen das FDJ-Lied „Bau auf!“ und trollten uns von hinnen. Mit der Lumpenrevolution ließen wir es für diese Nacht bleiben.

Die Offenbarung. In Weimar gibt es einen Laden mit kuriosem Zierrat: ausgestopften Fischen und faustgroßen Käfern (lebendig). Wir klagten der Verkäuferin unser Leid und erzählten vom Hunger und gebratenen Käfern, da wurde uns sofort etwas Obst gereicht, das eigentlich den exotischen Tieren vorbehalten war. Aber auch wir sind ja Exoten... Wir wollten bald gehen, da wurden wir von Fragen überrascht, die selbst uns ins Stocken brachten: „Ihr tut mir leid, ihr habt ja auch gar keine Krankenversicherung!“ - „Nein? Äh - stimmt, natürlich nicht!“ - „Und wenn ihr mal krank werdet?“ - „Dann sterben wir eben. Wir waren früher auch mal ganz viele gewesen.“ - „Seid ihr überhaupt gemeldet?“ - „Gemeldet? Nö, wir müssen immer schauen, daß wir nicht der Polente in die Arme laufen.“ - „Wie macht ihr das im Winter? Versteckt ihr euch da?“ - „Äh - genau, da halten wir Winterschlaf...“ usw.

Stationen: Suhl, Zella-Mehlis, Ohrdruf, Gotha, Erfurt, Weimar, Apolda, Naumburg, Freyburg/Unstrut.

Da der Lumpenbrüderorden seit Mitte 2005 auf einer Genossenschaftslumpenverwertungsanlage im Harz einen 1-Euro-Job verrichtet, war für uns vier Gesellen des Ordens das Motto „Hartz IV“. Seit Hartz IV können wir leider nicht mehr mit Chipstüte vor dem Fernseher hocken und Arbeitslosengeld einstreichen, sondern müssen singend und bettelnd Geld für unsere hungrigen Kinder ergattern. Denn das ist - wie wir feststellen durften - einträglicher als ein 1-Euro-Job. O-Ton eines aufrichtig mitfühlenden Krawattenhengstes in Weimar: „Ihr armen Schweine!“ Grunz!

Grunz